07.10.2004

Abschied von der „Das-geht-schon-Mentalität“

FH Bielefeld bietet Marktanalysen für Exporteinsteiger an.

Mangelnde Informationen über den Zielmarkt sind die häufigste Ursache, an der Auslandsgeschäfte ostwestfälischer Unternehmen scheitern. So lautet ein wesentliches Fazit der Diplomarbeit von Cem Günenc am Fachbereich Wirtschaft der Fachhochschule (FH) Bielefeld. Betreut wurde die Arbeit von Professor Dr. Gisbert Göring-Lensing-Hebben. Das Plädoyer des Professors: Unternehmer der Region benötigen mehr Know-how, bevor sie sich auf fremde Märkte wagen. Faszinierend sei, dass die deutsche Industrie Exportweltmarktführer sei, und das, obwohl die Qualifikation der Exportmitarbeiter gerade in kleinen- und mittleren Unternehmen oft "rudimentär" sei. Es fehle an den nötigen Sprachkenntnissen und Erfahrungen der Mitarbeiter, zitiert der promovierte Diplom-Kaufmann die Untersuchung seines Studenten, ebenso mangele es in vielen Betrieben an interkultureller Kompetenz.
Ein weiterer Kritikpunkt: Auslandsgeschäfte würden genauso abgewickelt wie Inlandsgeschäfte, auf länderspezifische Unterschiede, zum Beispiel eine andere Führungs- und Entscheidungskultur, würde keine Rücksicht genommen. Ein Beispiel: In Deutschland entscheide der Vorstandsvorsitzende eines Unternehmens nicht gegen die Meinung eines anderen Vorstandskollegen, Einstimmigkeit und Konsens nach ausführlicher Diskussion sei die Regel. Anders in Frankreich. Dort würde zwar auch ausgiebig diskutiert, aber die Entscheidung träfe der Vorsitzende dann allein. Führungsschwäche meinen die einen, autoritäre Entscheidungsstruktur die anderen, je nach dem, aus welcher Richtung über den Rhein geblickt werde.

Um solche Missverständnisse von vornherein auszuschließen, sei eine umfassende Export- und Marktanalyse notwendig, sagt der 42-jährige Fachhochschul-Professor, der Vorlesungen in den Bereichen Betriebs- und Außenwirtschaft sowie internationales Marketing hält. "Viele Mittelständler denken noch nicht international", hat Göring-Lensing-Hebben beobachtet, der nach einer Ausbildung zum Industriekaufmann, Studium und Tätigkeit in verschiedenen internationalen Unternehmen seit 2001 im Fachbereich Wirtschaft der FH Bielefeld lehrt.

Oft fehle in mittelständischen Unternehmen noch die Einsicht, Geld für Basisanalysen auszugeben. Sei die Analyse nicht vorhanden, könne keine Strategie entwickelt werden, wie der Markt erschlossen werden soll, Unternehmer würden keine Visionen entwickeln. Stattdessen würde versucht im "try and error"-Verfahren das Auslandsgeschäft aufzubauen.

"Die Strategien von vor 20 Jahren greifen nicht mehr", so Göring-Lensing-Hebben. Vielmehr müssten heute die firmeneigenen Strategien und Konzepte überprüft werden, Firmen müssen sich dem Benchmarking stellen. "Wenn Sie Marktdaten nicht messen können, können Sie Ihr Engagement im Ausland nicht managen", meint Göring-Lensing-Hebben. "Die 'Das-geht-schon-Mentalität' trägt heute nicht mehr."

Wichtig sei auch, dass Unternehmen schon zu Beginn ihrer Exporttätigkeit über "Exit-Strategien" nachdächten, falls Produkt und Markt nicht zusammenpassen. Der persönliche Kontakt zum ausländischen Geschäftspartner dürfe natürlich nicht zu kurz kommen, im Gegenteil, die Bedeutung werde weiter steigen. Und trotzdem: Der Wirtschaftswissenschaftler will die Unternehmer "zu mehr Zahlenaffinität bringen".

Grundsätzliche Hilfestellungen auf dem Weg ins Exportgeschäft - beziehungsweise die Optimierung bestehender Kontakte - biete auch die FH Bielefeld an. Dr. Göring-Lensing-Hebben appelliert an die Unternehmer, diese Chance und das regionale Know-how zu nutzen. So könnten beispielsweise Studierende ihre Diplomarbeiten in und für das Untenehmen schreiben, zum Beispiel eine Marktanalyse für den Zielmarkt X liefern. Und das zum beiderseitigen Vorteil: Der ein oder andere ehemalige Studierende des Professors konnte die Ergebnisse seiner wissenschaftlichen Expertise erfolgreich in der Praxis umsetzen - in dem Unternehmen, für das er seine Diplomarbeit geschrieben hatte. Cem Günenc arbeitet mittlerweile als Geschäftsführer im britischen Oxford.

Textveröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Industrie- und Handelskammer Ostwestfalen zu Bielefeld; aus: Ostwestfälische Wirtschaft 10/2004, Text: Ingo Stoll.

Kontakt:
Professor Dr. Gisbert Göring-Lensing-Hebben
Fachbereich Wirtschaft
Fachhochschule Bielefeld
Universitätsstraße 25
33615 Bielefeld
fon 0521.106-3757
e-mail gisbert.lensing@fh-bielefeld.de