06.10.2025

„Post Digital Work“ in der Wissenswerkstadt: Studierende der Richtung Digital Media and Experiment zeigen ihre Arbeiten im HSBI-Satellit

Detail eines Bildes der Ausstellung Post Digital Work man sieht ein zerfurchtes Gesicht dessen linkes Auge von einer Augenklappe bedeckt wird
Auch die dystopischen Elemente einer volldigitalen Arbeitswelt werden in der Ausstellung aufgenommen, wie in der Arbeit von Janik Peltzer. © Janik Peltzer
Bild aus der Serie von Maik Schneiker auf dem in einem rotstischigen Bild Menschen an einem konferenztisch sitzen ihre köpfe sind wie mit einem filzsitift übermalt und dadurch unkenntlich gemacht worden
Automatisierung, Digitalisierung und Entfremdung: Die Ausstellung „Post Digital Work“ beschäftigt sich wie im Kurzfilm „OhNeinDieRoboter“ von Maik Schneikers mit den Verwerfungen der zeitgenössischen Arbeitswelt. © Maik Schneiker
Gruppenbild der ausstellenden Studierenden die sich wie auf dem  berühmten Bild Mittagspause auf einem Wolkenkratzer von Charles C. Ebbets in einer Reihe auf einen tisch gesetzt haben ihre füße baumeln wie beim originalbild in der luft anschließend an das
Tableau Vivant: Anschließend an das Ausstellungsthema „Arbeit“ stellten die Studierenden und Dozenten ikonische Bilder der Kunstgeschichte mit den Attributen der digitalen Arbeitswelt nach. © Yves Iwanetzki, Sebastian Krampe, Spencer Krombach, Carlo Seemann, Maik Schneiker, Jana Welbers, Marcus Wildelau
Gruppenbild der ausstellenden Studierendenden sowie der Lehrenden Claudia Rohrmooser und Marcus Wildelau Die 23 Menschen stehen in zwei Reihen vor einer Wand aus roten Ziegelsteinenaus
21 Studierende der Studienrichtung Digital Media Experiment waren Teil des von Prof. Claudia Rohrmoser und Marcus Wildelau veranstalteten Seminars, aus dem die Ausstellungsarbeiten hervorgingen. © Joaquin Alaaddin Avciogullari
Ein breit angelegtes Forschungsprojekt der Studienrichtung Digital Media and Experiment untersucht, was heute und morgen unter den Bedingungen von KI als „Arbeit“ verstanden werden kann. Nach dem erfolgreichen Start im LWL-Museum Ziegelei Lage machen die 23 Arbeiten von Studierenden des Fachbereichs Gestaltung nun bis zum 11. November Station in der Wissenswerkstadt und ergänzen dort die GENIALE 2025: KI und Wir. Die gezeigten Werke scheinen bedrohlich wie verstörend nah an der Realität zu sein – und sie fordern Selbstwirksamkeit zurück.

Bielefeld (hsbi). Wenn das Digitale das Normale ist – was blüht uns dann? Von der Modedesignerin bis zum Taxifahrer fragen sich immer mehr Menschen unterschiedlichster Berufsgruppen, ob ihren Job nicht bald eine KI erledigen könnte. Künstlerinnen, Philosophen, Anthropologinnen und Sozialwissenschaftler rufen mit zunehmendem Recht das Zeitalter des Postdigitalen aus. „Das beschreibt eine Gegenwart, in der digitale Technologien nicht mehr als neu wahrgenommen werden, sondern die Arbeitswelt selbstverständlich durchdringen“, sagt Prof. Claudia Rohrmoser, die im Fachbereich Gestaltung der Hochschule Bielefeld (HSBI) für das Lehrgebiet Motion Design verantwortlich ist. „Industrielle und kapitalistische Logiken wirken dabei fort, inklusive der bekannten Ausbeutungsstrukturen. Zugleich aber entstehen neue, unsichtbare und entgrenzte Formen von Arbeit.“

Die schwer fassbaren Dynamiken eines dämmernden Techno-Kapitalismus werden sichtbar gemacht

Bild des Ausstellungsrums im LWL Museum Ziegelei Lage In einem abgedunkelten Raum ohne Besucher:innen sieht man vier versetzt stehende Leinwände auf die Arbeiten der ausstellenden Studierenden projiziert werden
„Post Digital Work“ beschäftigt sich mit der Dekonstruktion von bildlich vermittelten Idealen einer Arbeitswelt, die längst vom Digitalen geprägt wird.

Um diese Themen dreht sich eine Ausstellung, die Rohrmoser mit Studierenden der Studienrichtung Digital Media and Experiment (DMX) realisiert hat und die bis zum 11. November im Galerieraum HSBI-Satellit in der Wissenswerkstadt Bielefeld zu sehen ist. „Post Digital Work“ vereint 20 künstlerische Positionen zu den Transformationsprozessen gegenwärtiger und zukünftiger Arbeit. „Wir verstehen das Forschungsprojekt, als kritische Auseinandersetzung mit der Realität einer postdigitalen Arbeitswelt“, sagt Claudia Rohrmoser. „Im Zentrum stehen kolportierte Arbeitsideale und ihre medial vermittelten Bildwelten – sowie deren Dekonstruktion.“ Die Studierenden nutzen hauptsächlich filmische Miniaturen, um die schwer fassbaren Dynamiken eines dämmernden Techno-Kapitalismus sichtbar zu machen. Und das wirkt oft durchaus bedrohlich – vor allem, wenn wir zu begreifen meinen, dass diese düstere Zukunft bereits begonnen hat.

Am Anfang der Ausstellung steht jedoch eine gemeinschaftliche Arbeit, die tief und augenzwinkernd in die Kunstgeschichte zurückverweist. Die Idee dazu hatte Co-Seminarleiter und -Kurator Marcus Wildelau, Lehrbeauftragter der HSBI sowie Fotograf und Filmemacher. „Es handelt sich um drei Tableaux Vivants“, erklärt Wildelau. „Ende des 18. Jahrhunderts haben Abendgesellschaften erstmals Gemälde nachgestellt. Das wurde dann zum Genre. Außerdem rekapitulieren wir dabei künstlerische Praxis der Renaissance, bei der der Schöpfer selbst in seinem Werk vorkommt. Und wir haben Team-Erfahrungen gesammelt, die später im Berufsleben noch wichtiger werden.“

Wenn die unbezahlte Praktikantin herausfindet, dass die Firma kurz vor der Abwicklung steht

So sieht man die HSBI-Studierenden bei einem Reenactment von Leonardo da Vincis Fresko „Das letzte Abendmahl“ – nur, dass hier ein größenwahnsinniger CEO am Meeting-Tisch gerade die Implementierung einer KI verkündet hat. Die Mitarbeitenden zeigen aber originalgetreue Reaktionen: Empörung, Wut, wehleidige Akzeptanz und Fluchtimpulse. Das zweite Tableau Vivant belebt die ikonische Fotografie „Lunch atop a Skyscraper“ wieder. Doch statt New Yorker Bauarbeitern auf einem Stahlträger sitzen Digitalarbeiter mit Virtual-Reality-Brillen verloren auf ihren Schreibtischen. Und schließlich ist da die unbezahlte Praktikantin, der der Spaß an der Betriebsfeier gehörig vergangen ist, weil sie zufällig herausgefunden hat, dass die Firma kurz vor der Abwicklung steht. Frei nach dem Gemälde mit dem traurigsten Hofnarren aller Zeiten: „Stańczyk während eines Balls am Hof von Bona Sforza im Angesicht des Verlusts von Smolensk“ von Jan Matejko.

Gruppenbild der ausstellenden die sich wie in leonardo da vincis Gemälde das letzte abendmahl an einem konferenztisch gruppiert haben anschließend an das ausstellungsthema tragen sie anzüge und hemden
„Das letzte Meeting“: in einem Tableaux Vivant transferierten die Aussteller:innen Leonardo Da Vincis „Das letzte Abendmahl“ in die Gegenwart des digitalen Kapitalismus.

In den ausgestellten Einzelarbeiten der Nachwuchskünstler geht es inhaltlich zwingender zu, und ja, es darf auch wehtun. Wie bei Maik Schneikers dreieinhalbminütigen Film „OhNeinDieRoboter“. „Das ist ein auf aggressive Musik geschnittener dystopischer Bilderbogen, der den Pakt zwischen Mensch und Maschine visualisiert“, sagt HSBI-Dozent Marcus Wildelau. „Während wir uns voller Neugier fragen, was wir noch alles automatisieren könnten, übernimmt die Maschine mit dem Anspruch auf weitere Gewinnmaximierung bereits die Kontrolle. Ein teuflisches Szenario.“

„Mit differenzierter Betrachtung und kritischer Recherche gewinnen wir die Selbstwirksamkeit zurück“

„Das Ziel des Seminars war es auch, dem Gefühl der Machtlosigkeit etwas entgegenzusetzen – letztlich geht es um die Zurückgewinnung von Selbstwirksamkeit“
Prof. Claudia Rohrmooser

Sind wir in diesem Spiel womöglich schon heute hinreichend konditioniert für die Rolle des Widerspruchslosen? Wildelau verweist dazu auf eine Studie, nach der sich die in psychotherapeutischer Behandlung befindlichen Befragten von ChatGPT besser betreut fühlten als von entsprechend ausgebildeten Menschen.

Claudia Rohrmoser kann verstehen, dass angesichts solcher postdigitaler Arbeitsrealitäten sich Wut, Sorge und Angst breitmachen. „Das Ziel des Seminars war es allerdings auch, dem etwas entgegenzusetzen“, sagt die Professorin. „Und zwar durch differenzierte Betrachtung und kritische Recherche. Letztlich geht es um die Zurückgewinnung von Selbstwirksamkeit in diesem undurchsichtigen, verwobenen Feld, wo man sich sehr machtlos fühlen kann.“

Wenn die Replika ihr Gedächtnis verliert, muss die verliebte Kundin immer wieder zahlen

Die DMX-Studierenden Lukas Janzing und Dennis Jegel sind bei ihren Recherchen auf die verstörenden Möglichkeiten der Voice Extraction gestoßen – des Stimmenklonens mithilfe von KI. „Viele Schauspieler:innen in Deutschland leben vom Synchronsprechen“, erklärt Rohrmoser. „Die KI-Voice-Models sind aber inzwischen so gut, dass sie in absehbarer Zeit diesen Teil des Arbeitsmarkts übernehmen können.“ Janzig und Jegel haben die Probe aufs Exempel gemacht und in ihrer Arbeit Original und Klon diskutieren lassen. Wer ist wer? Das lässt sich nicht mehr unterscheiden. Auf der visuellen Ebene wird dabei sehr anschaulich, was Voice Extraction im Kern ist: nicht Automatisierung, sondern Raub.

Noch näher dran am postdigitalen Business erzählt Charlotte Sülflohn ihre KI-Liebesgeschichte „Say you love me“. Tatsächlich kann man ja mit dem KI-Chatbot Replika alle möglichen Arten von Freundschaft schließen. Bei Sülflohn sorgt allerdings ein Update für Gedächtnisverlust beim Bot und damit für Liebeskummer bei der Protagonistin. Im Kampf um das virtuelle Objekt der Begierde muss sie nun immer wieder durch die Paywall. „Wie psychologische Dispositionen beinhart ausgenutzt werden, um uns zu bezahlenden, abhängigen Kund:innen zu machen, das können wir in dieser Arbeit sehr gut nachvollziehen“, sagt Claudia Rohrmoser.

Wird KI die Biosphäre vollends zerstören, während sie sie digital re-generiert?

Bei Susan Schaper ist dann alles „Found footage“ – irritierenderweise. „The Work of Becoming“ beschäftigt sich als Collage aus TikTok-Reels mit Dogfluencern, die man sich kaum ausdenken könnte, wenn es sie nicht wirklich gäbe. Andererseits ist die zugrundeliegende Logik nur eine weitere Anthropomorphisierung, halt konsequent zuendegedacht: Wenn ich arbeiten muss, muss mein Hund es auch! Rüden performen dabei offenbar eher körperlich, Hündinnen glänzen hyperfeminisiert mit Klamotte, Frisur und Make-up. Als hätten Haustiere mit ihrer unbezahlten Care-Arbeit an unserer emotionalen Balance nicht schon genug zu tun.

Vor einem Bildschirm auf dem ein zweigeteiltes Bild zu sehen ist stehen drei Menschen mit dem Rücken zum Betrachter Auf dem Bildschirm sieht man auf der einen Hälfte ein Bild einer in Flammen stehenden Gebirgslandschaft auf der anderen Seite eine ähnliche
Der Zusammenhang von Klimazerstörung durch die indirekten Folgen von KI-Anwendungen und die perfekte Modellierbarkeit von Naturbildern durch Bild-KIs sind das Thema von Colin Östermanns Arbeit.

Digitale Technologien wirken jedoch nicht nur auf Individuen und Gruppe, sondern auch auf die Biosphäre. Das zeigt Colin Östermann in seinem Video „Artificial Contrasts“, indem er Bildern von Naturkatastrophen generierte grüne Idyllen gegenüberstellt. „Das Perfide daran ist, dass wir ahnen, dass die KI während der digitalen Regeneration der Natur ihr Zerstörungswerk an der Umwelt fortsetzt, weil ja Rechenleistung und Ressourcenverbrauch in Korrelation stehen“, sagt Claudia Rohrmoser.

Die Leidenschaft der Studierenden für großes Storytelling hat die Seminarleiter:innen begeistert

Auf einem Bildschirm ist ein schwarzweiß Bild abgebildet daruf ist eine Forschungsstation mit einer Antenne und einem kugelförmigen Dach für ein Radioteleskop in einer Eislandschaft zu sehen
Entfernt sich die Menschheit in einer postdigitalen (Arbeits-)Welt von allem, was sie ausmacht – so wie die Besatzung einer Polarforschungsstation von der bewohnten Welt? Fragen wie in der Arbeit von Carlo Seemann stellt die Ausstellung ihren Besucher:innen.

Was gibt es für den Menschen ganz am Ende überhaupt noch zu tun? Vielleicht ist es so wie in Carlo Seemanns Fotofilm „Remote Horizon“, wo der letzte Maschinenwart eines riesigen Rechenzentrums in der Antarktis einen Monolog hält. „Das ist ganz großes Storytelling“, preist Marcus Wildelau die Arbeit an. „In dieser Dystopie über eine Post-Work-Society erscheint der Mensch als eine Lebensform dieses Planeten, die sich von allem entfernt.“

Es ist diese Leidenschaft der Studierenden fürs Geschichtenerzählen, die Rohrmoser und Wildelau am meisten beeindruckt hat auf dem Weg zu „Post Digital Work“. „Die jungen Gestalterinnen und Gestalter sind dabei teilweise in ganz neue Fahrwasser geraten und auch über sich hinausgewachsen“, sagt Wildelau. „Das hat mich wirklich begeistert.“ Und die Story ist noch längst nicht zuende geschrieben. „Diese Ausstellung ist lediglich der Startpunkt für ein noch größeres künstlerisches Forschungsprojekt zwischen den Disziplinen, zu dessen Abschluss eine Publikation erscheint“, verrät Claudia Rohrmoser.

Ausstellung „Post Digital Work“

Projektleitung: Prof. Claudia Rohrmoser

Seminarleitung: Prof. Nieves de la Fuente Gutierrez, Nils Pisarsky, Frank Spreen-Ledebur, Marcus Wildelau

Aussteller:innen: André Plümer genannt Woistpeter, Carlo Seemann, Charlotte Sülflohn, Colin Ostermann, Dennis Jegel, Gerlind Werner, Hương Huynh, Jana Welbers, Janik Peltzer, Jenni Pogosjan, Juliana Aslan, Kevin Kuhn, Lisa Stephan, Lukas Janzing, Maik Schneiker, Maria Grinko, Ragna Arndt-Maric, Sebastian Krampe, Spencer Kromberg, Susan Wright, Tim Kuhn, Yves Iwanetzki

Eröffnung: 07. Oktober, 19:00 Uhr mit einer audiovisuellen Liveperformance.

Anschließend vom 08. Oktober bis 11. November 2025 in der Wissenswerkstadt (Montag-Samstag, 10:00-18:00 Uhr).

Künstler:innenführungen durch die Ausstellung finden jeden Samstag von 15:00-18:00 Uhr statt.

Weitere Informationen

https://postdigitalwork.space/
https://www.hsbi.de/gestaltung
https://www.hsbi.de/gestaltung/dmx/inhalte
https://wissenswerkstadt.de/top-themen/post-digital-work