04.05.2022

Mann, Frau, divers: Forschungsprojekt der FH Bielefeld untersuchte Geschlechterbilder von Studierenden

Ein Stuhkreis in einem Seminarraum.
Von fluiden Geschlechteridentitäten und starren Rollenbildern: Vorgestellt wurden die Forschungsergebnisse in einem dialogischen Abendsymposium in der FH Bielefeld. © P.Pollmeier/FH Bielefeld
Cornelia Muth in einem Gesprächskreis
"Demokratie ist nur plural möglich!", so Prof. Dr. Cornelia Muth bei der Vorstellung der Forschungsergebnisse beim Abendsymposium in der FH Bielefeld. © P.Pollmeier/FH Bielefeld
Cornelia Muth hält ein Buch in die Kamera
Mit ihrem kürzlich veröffentlichten Sammelband „Was bleibt? Resilienz der Dialogphilosophie“ widmet sich Prof. Dr. Cornelia Muth zu ihrem 20-jährigen-Berufsjubiläum an der FH Bielefeld dem Dialog. © P.Pollmeier/FH Bielefeld
Cornelia Muth lehnt an einer Wand und schaut aus dem Fenster
Seit 20 Jahren lehrt und forscht Prof. Dr. Cornelia Muth am Fachbereich Sozialwesen der FH Bielefeld. © P.Pollmeier/FH Bielefeld
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Der Sammelband „Was bleibt? Resilienz der Dialogphilosophie“ von Prof. Dr. Cornelia Muth (Hsg.) umfasst 13 Beiträge von Autor*innen zu ihren wissenschaftlichen und lebenspraktischen Erkenntnissen zum Dialog. © P.Pollmeier/FH Bielefeld

Das Forschungsteam um Erziehungswissenschaftlerin Prof. Dr. Cornelia Muth beschäftigte sich mit geschlechterspezifischen Konstruktionen und pluralen Identitäten. Ein Ergebnis: Für eine gelebte Vielfalt fehlen sichere Räume.

Bielefeld (fhb). Was definiert mich als „Mann“, „Frau“ oder „divers“? Welche Geschlechteridentitäten existieren in der Gesellschaft? Und wie gehe ich mit Menschen um, die meine Identität nicht respektieren? Diesen Fragen stellten sich Studierende des Fachbereichs Sozialwesen der Fachhochschule (FH) Bielefeld. Unter der Leitung von Prof. Dr. Cornelia Muth untersuchte das Forschungsprojekt „Das plurale Wir (in) der Gesellschaft stärken“ die Konstruktionen der Studierenden zum Thema Gender und Geschlechteridentitäten. Ein Ergebnis: In unserer pluralisierten und heterogenen Gesellschaft finden nicht alle Menschen die notwendigen Räume, Vielfalt frei und ohne Angst ausleben zu können.

Die Ergebnisse des Forschungsprojekts sind nun im Band "Das Plurale Wir in der Gesellschaft stärken" im Wochenschau Verlag erschienen. Mehr Informationen hier.

„Demokratie ist nur plural möglich!“

„Als Sozialarbeiterin oder Erzieher wird man mit Herausforderungen rund um Geschlechteridentitäten konfrontiert und muss damit feinfühlig umgehen können.“
Prof. Dr. Cornelia Muth

„Vereinfacht gesagt bedeutet Pluralismus, dass in einer Gemeinschaft unterschiedliche Individuen existieren“, erklärt Cornelia Muth, die als Professorin für Erziehungswissenschaften am Fachbereich Sozialwesen lehrt und forscht. Das umfasst nicht nur Geschlechteridentitäten, sondern beispielsweise auch politische oder religiöse Ansichten. „Demokratie ist nur plural möglich. Ich muss Vielfalt aber auch wirklich erfahren können, sie darf kein theoretisches Konstrukt bleiben“, so Muth.

Forschungsprojekt untersuchte geschlechterspezifische Konstruktionen der Studierenden in zwei Seminaren

Die gelebte oder unterdrückte Pluralität in Bezug auf Geschlechteridentitäten von Studierende des Fachbereichs Sozialwesen untersuchte Prof. Dr. Cornelia Muth im vergangenen Semester gemeinsam mit Bianca Dahlke, Sina Tannimara Löwe und Isabell Harstick vom Fachbereich Sozialwesen sowie Prof. Dr. Annette Nauerth vom Fachbereich Gesundheit. In einem Bachelor- und einem Masterseminar wurden die subjektiven geschlechterspezifischen Konstruktionen sowie die Akzeptanz und Toleranz heterogener Lebensformen der teilnehmenden Studierenden unter die Lupe genommen: Welche Geschlechteridentitäten kennen die Studierenden? Wie definieren sie sich selber? Haben sie bereits Diskriminierungserfahrungen gemacht? Untersucht wurden dafür die Wortbeiträge und die Entwicklung der Gruppendynamik während des Semesters. „Wir berühren damit sehr private Bereiche. Deswegen war es wichtig, die Studierenden nicht zu drängen, sondern sie selber berichten zu lassen“, so Muth.

Fehlende sichere Räume für alle Geschlechteridentitäten

Cornelia Muth spricht in einem Stuhlkreis
„Demokratie ist nur plural möglich. Ich muss Vielfalt aber auch wirklich erfahren können, sie darf kein theoretisches Konstrukt bleiben“, so Prof. Dr. Cornelia Muth.

Überrascht waren die Forscherinnen davon, dass sich die Erfahrungen aus dem Bachelor- und Masterseminar unterschieden: Während die Studierenden im Bachelorseminar noch stark in binären Geschlechteridentitäten (Mann-Frau) dachten, zeigten sich die Masterstudierenden breiter aufgestellt in ihrer Reflexion und nahmen Identitäten zunehmend fluider wahr. „Ein Problem, das in beiden Seminaren thematisiert wurde, waren fehlende Räume, in denen sich Männer jenseits patriarchalischer Vorstellungen vom ‚starken Mann‘ begreifen und bewegen können“, so Muth. Prägendes Thema bei den Studentinnen war dagegen eine enge Verknüpfung von einem Angstgefühl und ihrer Identität als Frau.

Prof. Dr. Cornelia Muth war es wichtig, die Studierenden für Fragestellungen in ihren späteren Berufsfeldern zu sensibilisieren: „Als Sozialarbeiterin oder Erzieher wird man mit Herausforderungen rund um Geschlechteridentitäten konfrontiert und muss damit feinfühlig umgehen können.“

Dialogisches Setting ohne absolute Wahrheiten

Vorgestellt wurden die Forschungsergebnisse in einem dialogischen Abendsymposium in der FH Bielefeld: Studierende, Lehrende, Forschende und Alumni tauschten sich über die Ergebnisse aus den Seminaren, aber auch über ihre eigenen Erfahrungen aus. Die Vortragsform war dabei keinesfalls willkürlich gewählt. Prof. Muth: „In einem dialogischen Setting nach dem Konzept des Philosophen David Bohm steht ein kollektiver Denk- und Gruppenprozess aller Teilnehmenden im Vordergrund und intendiert dabei ein offenes, gemeinsam gestaltetes Gespräch. Fern von der Annahme, dass es absolute Wahrheiten gibt, wird somit ein Raum geschaffen, in dem unterschiedliche Meinungen respektvoll miteinander ausgetauscht werden, ohne beteiligte Personen von individuellen und singulären Ansichten und Einstellungen überzeugen zu wollen.“ (she)

Prof. Dr. Cornelia Muth veröffentlicht Sammelband zu Dialogphilosophie

Auch mit ihrem kürzlich veröffentlichten Sammelband „Was bleibt? Resilienz der Dialogphilosophie“ widmet sich Prof. Dr. Cornelia Muth zu ihrem 20-jährigen-Berufsjubiläum an der FH Bielefeld dem Dialog. In Anlehnung an das Resilienz-Verständnis von Johannes Schopp veröffentlicht sie dreizehn Beiträge von Autorinnen und Autoren, die ihre langjährigen Lern- und Lehr-Erfahrungen sowie wissenschaftliche und lebenspraktischen Erkenntnisse darlegen. Muth: „Dialogische Resilienz bedeutet in diesem sozialwissenschaftlichen Kontext unter anderem das Kultivieren innerer Stärke, von Widerstandskraft, Selbstbewusstsein, Selbstwirksamkeit, Präsenz, Bewusstheit und mündet im sozialen Vermögen, sich als Gemeinschaft solidarisch miteinander zu verhalten.“

Publikation "Das Plurale Wir in der Gesellschaft stärken"

Der Band zur Wissenschafts-Reihe versteht sich als Beitrag zur partizipativen Demokratieforschung. Mit dem Verfahren der phänomenologischen Praxisentwicklungsforschung wurden die singulären Bewusstheiten von Studierenden am Fachbereich Sozialwesen der Hochschule Bielefeld in Hinblick auf die Vielfalt von Geschlechterkonstruktionen und Lebensformen untersucht. Die praktische Umsetzung erfolgte in Seminaren im Dialoggruppen-Format. Dabei ging das Forschungsteam davon aus, dass Pluralität eine zwischenmenschliche Tatsache ist, die nur übersehen wird.
Mehr: https://buchfindr.de/buecher/das-plurale-wir-in-der-gesellschaft-staerken-muth-cornelia/

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